Emotionen und Kommerz - Unsere UTMB Woche

Emotionen und Kommerz - Unsere UTMB Woche

Ich erinnere mich noch genau an mein erstes mal UTMB. Der erste Blick auf den Mont Blanc, die Einfahrt nach Chamonix, die ganzen über-fitten Menschen auf ihren Shake-Out-Runs, die Zweifel, ob ich hier überhaupt hingehöre. Ich war für den CCC angemeldet, mein erstes Rennen über 100 km. Meine Frau konnte meine Zweifel wohl spüren und bot mir einen Ausweg: “Du musst da nicht mitlaufen, wir sagen einfach, du hattest eine Magenverstimmung”. Doch da war es schon zu spät, das Abenteuer wollte ich mir nicht mehr nehmen lassen. Sie sollte allerdings nicht lange unrecht behalten.       

Auf der Expo lief ich an Jamil Curry vorbei, der damals mit seinem Youtube Kanal “Run Steep Get High” sehr aktiv war, und dachte mir noch, dass es irgendwie ein cooler Job sein muss, wenn man hier beruflich unterwegs sein darf. 

Das Rennen lief wirklich gut, bis es eben nicht mehr gut lief. Ein paar Anfängerfehler führten zu Magenproblemen und dann wurden die letzten 30km ganz schön lang. Das Finish war trotzdem wunderbar, auch wenn es tief in der Nacht war und nur noch wenig von der Stimmung an der Ziellinie übrig geblieben ist. Die Magenprobleme von 2019 haben mein Interesse an Sportnahrung geweckt und über Umwege mitgeholfen, dass wir zwei Jahre später eine Firma für Sportnahrung gegründet haben. 

 

2023 UTMB Lucy Bartholomew


Vier Jahre später. Es ist die UTMB Woche 2023 und diesmal bin ich beruflich hier. Ich habe einen großen Duffel Bag voller Sportnahrung dabei. Es gilt, Kunden und Elite-Athletinnnen auf den letzten Drücker noch mit Sportnahrung zu versorgen. Irgendjemand hat immer etwas vergessen. Wir sind hier um zu helfen.   

Letztes Jahr war es Abby Hall, die ihre Verpflegung nicht durch den Zoll bekam, was einen kleinen Panikmoment verursachte. Dieses Jahr durften wir unter anderem Lucy Bartholomew mit Spring Energy versorgen. Marcel Höche und Kimi Schreiber vom Team Sporthunger haben natürlich auch noch ein bisschen extra Energie von uns bekommen.

Cirque du UTMB

Es fällt auf, wie extrem die Veranstaltung gewachsen ist. Die Expo hat ihre Standfläche fast verdoppelt und die Menschenmenge hat sich gefühlt verdreifacht. Man trifft an jeder Ecke Menschen, die man kennt oder gerne kennen möchte, und es liegt eine etwas nervös-hektische Energie über der Gemeinde. Ab Dienstagabend mischen sich auch ein paar Gestalten unters Volk, die auffallend langsamer unterwegs sind. Es sind TDS Finisher, die, wie es scheint, noch gar nicht ganz verarbeitet haben, was sie da erlebt haben und durch welche Bedingungen sie sich durchkämpfen mussten, um wieder heil nach Chamonix zu kommen. Sie wirken ruhig, aber auch irgendwie leer. Runners High sieht anders aus.


Bei aller Vorfreude auf den großen Tanz, kann man nicht verleugnen, dass hier der Kommerz im Vordergrund steht. Fast jede Marke hat einen Community Run, Adidas verteilt kostenlose Schuhe und verursacht dadurch lange Schlangen, Nike Trail veranstaltet eine digitale Schnitzeljagd und Hoka hat gleich mal das gesamte Hotel Alpina gemietet, oder "privatized", wie man so schön sagt. Nach ein paar Stunden wird es mir dann schnell zu viel vom Cirque du UTMB. 

Chamonix mal ganz entspannt

Wie angenehm ist es dem ganzen entfliehen zu können. Sporthunger kann es sich leider nicht leisten ganze Hotels zu privatizen, dafür stehen wir auf dem wunderbaren Campingplatz de La Mer de Glace. Hier ticken die Uhren ein bisschen langsamer. Es ist entspannt. Man trifft auch das ein oder andere bekannte Gesicht und hält kleine Schwätzchen auf dem Weg zur Dusche. Die Trails liegen sozusagen vor der Zelttür und schnell kommt man hoch zum Grand Balcon Nord. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Durchatmen. Es wird auch schnell wieder klar, warum die Rennen hier so besonders sind.

Chamonix Refuge du Montevers


Mittwochs geht es dann erst mal zum supporten an die OCC Strecke. So ausgelassen und freudig die Zuschauer an der Strecke feiern, so fokussiert und ernst kämpfen die Athletinnen mit dem letzten Uphill. Einzig Katie Schide fällt durch ein Lächeln auf, sie wird dann auch Zweite. Das ganze bietet schon mal einen Vorgeschmack darauf, was uns noch erwarten sollte. 

Das große Finale

Am Freitag ist es dann so weit. Die Expo ist mittags schon zu Ende und wird gleich abgebaut. Ich sitze mit Arne von Two Peaks Endurance im Café und beobachte die Läuferinnen und Läufer auf dem Weg zur Startlinie. Es liegt eine knisternde Spannung in der Luft. Diese Spannung überträgt sich auf anwesende Unterstützer, Freunde und Familienmitglieder, denen doch ein bisschen die Sorge um ihre Liebsten ins Gesicht geschrieben steht. 

 

UTMB 2023 Start


Zum Start habe ich mich mit ein paar anderen Trail-Freunden ein paar hundert Meter von der Startlinie entfernt platziert. Anfangs stehen wir noch entspannt herum, doch schnell wird es voll. Plötzlich entlädt sich die Spannung, die seit Tagen, Wochen und Monaten aufgebaut wurde. Die Läufer rennen wie eine Herde wilder Tiere durch die enge Gasse an Zuschauern. Es wird geklatscht, geschrien und gejubelt. Die “Große Wanderung” hat begonnen. 

Dieses Entladen an Emotionen erreicht ihren nächsten Höhepunkt in dem Ort Notre Dame de la Gorge. Läufer, die eben noch durch den stillen, dunklen Wald zogen, tauchen in eine surreale Stimmung wie in einem Fußballstadion ein. Bengalos leuchten, Kettensägen heulen, Menschen schreien. Das hat zwar nichts mehr mit dem Trailsport von vor 5 Jahren zu tun, aber es beeindruckt. Trotz all dem Kommerz, die Emotionen sind echt. 

Am nächsten Morgen ist bei uns Abreise angesagt. Wir machen noch in La Gieté und Trient Stopp, um die Elite-Läufer anzusehen. Ich treffe auf Denis Wischniewski, der als Chefredakteur des Trail Magazins die ganze Nacht dem “Zug” gefolgt ist, um den Wahnsinn zu dokumentieren. Man sieht ihm an, wie beeindruckt er von den Geschehnissen der letzten Nacht ist, und auch wie müde er ist. Jim Walmsley kommt als erstes rein, gefolgt von Zach Miller. Die Läufer müssen kämpfen, sind aber noch immer beeindruckend schnell unterwegs. Als Germain Grangier sich nähert, findet gerade ein Kinderlauf statt und er läuft, gefolgt von Kindern, in die Verpflegungsstation. Ein schöner Moment.    

Das kleine Finale

Nach acht Stunden Autofahrt kommen wir abends zuhause an. Ich bin in einer Whatsapp Gruppe, die Christian Bruneß (Chefredakteur Laufzeit) bei seinem UTMB Abenteuer begleitet. Er hat gerade einen Tiefpunkt, kämpft sich aber durch, obwohl er mehrmals kurz davor war aufzugeben. Jim Walmsley ist da schon längst geduscht und Pizza essen. Die Gruppe schickt Christian ermunternde und erheiternde Nachrichten in der Hoffnung, dass es ihm genügend Motivation gibt, aufzustehen und sich zur nächsten Verpflegungsstation durchzuschlagen. Es geht jetzt in die zweite Nacht für ihn. Das hat zwar irgendwie nichts mit dem Rennen von Jim, Zach und Hannes zu tun, aber auch nichts mit dem Wahnsinn auf der Expo. Irgendwann schlafe ich erschöpft von den letzten Tagen ein. 

Am nächsten Morgen wache ich pünktlich zu Christians Ankunft in Chamonix auf und schaue mir im Livestream an, wie er im Kreise seiner Familie endlich die Ziellinie überquert. Es werden Tränen vergossen. Die Gruppe feiert. Die Emotionen sind echt.      

Christian Bruneß UMTB 

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